Interview mit Fatih Akin

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Wann und wie haben Sie zum ersten Mal von Çamburnu und der geplanten Mülldeponie erfahren?

2005 war ich auf der Suche nach einem neuen Filmstoff. Ich arbeitete an „Auf der anderen Seite“, war aber noch in den Anfängen. Damals hatte ich gerade Martin Scorseses Film über Bob Dylan, „No Direction Home“, gesehen. Dylan als Phänomen hat mich so begeistert, dass ich seine Biografie „Chronicles“ las. Und auf einmal lese ich, dass seine Großmutter ursprünglich aus Trabzon kommt. Meine Großeltern väterlicherseits kommen ebenfalls aus Trabzon, haben den Ort aber auch verlassen. Die Eltern meiner Großmutter waren damals gegen die Hochzeit mit meinem Großvater, und so sind die beiden durchgebrannt und haben sich 1.000 Kilometer weiter westlich niedergelassen. Ich wollte unbedingt diesen Ort kennenlernen und so bin ich 2005 mit meinem Vater nach Çamburnu gereist. Die Schönheit dieser Gegend hat mich umgehauen. Es war Sommer, es war sehr feucht und heiß, und alles war grün. Man sah sofort, dass die Türkei ein asiatisches Land ist, es sah dort aus wie in Kambodscha oder Vietnam. Ich sagte immer nur: „Das ist ja das Paradies hier!“ Aber die Dorfbewohner meinten gleich zu mir: „Nicht mehr lang, hier wird bald eine Mülldeponie gebaut.“ Sie zeigten mir das Areal, das damals noch eine stillgelegte Kupfermine war, und mein Gerechtigkeitssinn war sofort geweckt. Nein, hier wird keine Deponie gebaut, lasst uns das gemeinsam verhindern! Es hatte schon Proteste gegeben, lange bevor ich das erste Mal dort war, aber sie hatten als kleines Dorf keine Lobby. Ich habe dann Demonstrationen mit organisiert und das Fernsehen nach Çamburnu gebracht. Und weil ich von der Landschaft so begeistert war, habe ich sie in den Schluss von Auf der anderen Seite integriert. Im selben Jahr haben wir begonnen, am Dokumentarfilm über die Deponie zu arbeiten.

MÜLL IM GARTEN EDEN ist auch ein Film über Zivilcourage. Welche Chancen haben die Bürger in einem solchen Machtkampf?

Die Hoffnung stirbt zuletzt. Heutzutage können sich Bürger durch Facebook und Twitter viel besser vernetzen und effektiver wehren. Das sieht man auch an der Occupy-Bewegung. Da verändert sich global etwas im Bewusstsein der Menschen.

Was passiert jetzt weiter im Dorf?

Die Deponie soll in zwei, drei Jahren geschlossen werden, aber sicher ist das nicht. Auf den Müll wird dann Erdreich geschüttet. Der Müll selbst soll versickern und braucht Jahrhunderte, um zu verrotten. Aber man sucht derzeit bereits nach einem neuen Ort in der Gegend für eine weitere Deponie und zwar unter denselben Bedingungen. Der Kampf geht also weiter. Vielleicht kann MÜLL IM GARTEN EDEN die Verantwortlichen zumindest dazu bringen, eine Müllverbrennungsanlage zu bauen, die internationalen Standards entspricht. Weil sie merken, dass sie sich mit ihren simplen Lösungen keine Freunde machen.

Der Film kommt im Dezember in die deutschen Kinos. Was sind Ihre Erwartungen?

Ich hoffe, dass MÜLL IM GARTEN EDEN die Aufmerksamkeit bekommt, die er verdient. Wahrscheinlich werden viele überrascht sein, wie viel Demokratie in der Türkei existiert. Ich wünsche mir auch deshalb eine Offenheit und eine Neugier bei den Leuten, weil doch vielen die Türkei abseits von Istanbul noch sehr fremd und suspekt ist.

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